Konzertlesung Samuel Koch/Samuel Harfst

 

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Gäubote, vom 18.04.2019

 

Von der Stärke, die eigene Schwäche zu zeigen

Bondorf: Samuel Koch und Samuel Harfst geben eine Konzertlesung in der Zehntscheuer

Samuel Koch (Mitte) liest aus seinem Buch, während Samuel Harfst (links) an der Gitarre singt GB-Foto: Holom

Seltsam trotzig wirkt der Titel, den Samuel Koch seinem Buch gab. „Steh auf, Mensch!“ heißt es. Koch, früher ein Geräteturner, ist nicht mehr aufgestanden, seitdem er vor neun Jahren in einer Fernsehshow über fünf fahrende Autos springen wollte. Auch am Dienstagabend sitzt er, querschnittgelähmt, auf der Bühne. Die Bondorfer Zehntscheuer ist randvoll, als Samuel Koch und Samuel Harfst dort zur Konzertlesung gastieren.

Thomas Morawitzky

Es war am 4. Dezember 2010, es geschah zur besten Sendezeit, in einer Fernsehshow, die als die größte Europas galt. Deutschland sah zu, andere Länder ebenfalls. Samuel Koch hatte rund zehn Wochen zuvor seinen 23. Geburtstag gefeiert. In Sprungstiefeln wollte er über fünf fahrende Autos, das eine größer als das andere, hinweg. Das vierte Auto wurde ihm zum Verhängnis. Er stürzte, blieb reglos liegen. Die große Show war vorbei.

Heute ist Samuel Koch 31 Jahre alt. Aufgegeben hat er nie. Er brachte die Schauspielausbildung, die er kurz vor seinem Unfall begonnen hatte, zu Ende, wurde festes Mitglied des Ensembles am Staatstheater Darmstadt, spielt heute am Staatstheater Mannheim. Koch hat zudem in einer Reihe von Filmproduktionen gespielt – zum Beispiel in Till Schweigers „Honig im Kopf“. Er hat geheiratet, hat mehrere Bücher veröffentlicht. Fast genau vier Jahre nach seinem Sturz war er nochmals bei Thomas Gottschalk zu Gast.

Gespräche über Alltäglichkeiten
und Hoffnungen

Nun sitzt, auf der Bühne der Bondorfer Zehntscheuer, ein junger Mann in einem Ohrensessel, der sich nicht mehr rühren kann, seinen Humor aber nicht verloren hat. Oft setzt Samuel Harfst sich neben ihn, dann sprechen beide über alltägliche Dinge, kleine Vorkommnisse, Hoffnungen. Dann wieder spielt Harfst eines seiner Lieder, begleitet sich auf der Gitarre, dem Keyboard, der Bass-Drum. Hinzu kommt Dirk Menger, der den Abend mit seinem Pianospiel eröffnet hat, der später das Cello spielen wird, bei ruhigen, träumerischen Liedern. Dann wieder liest Koch einige Seiten aus seinem neuen Buch.

„Was macht uns stark? Kein Resilienz-Ratgeber“ – so heißt dieses Buch im Untertitel. Das Gegenteil von Resilienz, darüber informiert das Lexikon, ist Verwundbarkeit. Seelische, nicht körperliche. Zu den begünstigenden Faktoren der psychischen Widerstandsfähigkeit gehört, die Psychologie stellt es fest, die Zugehörigkeit zu Gruppen mit festem Wertgefüge. Zu Gruppen also, die nicht dazu neigen, sich selbst zu hinterfragen. Anders ausgedrückt: Auch Scheuklappen können gesund sein.

Samuel Koch trägt diese Scheuklappen nicht, wirkt stark, steht aber doch zu seiner Schwäche. Das Wort Resilienz streift er nur wenige Male, an diesem Abend. Dass sowohl er als auch Samuel Harfst aus einem christlichen Haus stammen, aus einem Milieu also, dem man die Begünstigung der jüngst so populären Resilienz auch zuschreibt – Harfst teilt dies in nur wenigen Sätzen mit.

Es ist der CVJM Bondorf, der Samuel Koch und Samuel Harfst in die Zehntscheuer eingeladen hat. Aber Samuel Koch ist kein Prediger. „Was noch stärker ist, ist ein Ziel zu haben, vielleicht auch Träume“, sagt er einmal. „Vielleicht bewirkt der große Traum“ – das hat er geschrieben – „dass man sich auf dem Weg dorthin in kleine Traum-Teilschritte hineinzubegeben beginnt.“

Und Samuel Koch träumt – in einem kurzen Prosatext von einer Welt, die sich verändert hat, in der Massentierhaltung und Plastiktüten verboten wurden, Plastiktütenverwender von der Polizei verfolgt werden, alles sich zum Guten und Liebe gewandelt hat, der Hunger mit einem Handstreich besiegt wurde, Christen und Moslems gemeinsam am Strand sitzen, Querschnittlähmung heilbar ist. Donald Trump bekehrte sich in dieser Welt radikal, entließ sich selbst aus seinem Amt, investierte sein Vermögen in erneuerbare Energien und verkauft nun Tacos, irgendwo in Mexiko. „Leider ist auch jetzt, im Jahr 2041, der Willy-Brandt-Flughafen noch nicht ganz fertig“ – in der Zehntscheuer wird gelacht.

Samuel Koch hat geträumt; er weiß, dass nichts davon wahr werden wird, aber er lässt sich nicht beirren. Einmal sagt er, für ihn gebe es nur zwei Optionen: sich abzufinden oder geheilt zu werden. „Keine von beiden ist bis jetzt ganz eingetreten.“ Man spürt: Der ruhige junge Mann dort auf der Bühne kämpft noch. Unverwundbar ist er nicht. Einen Resilienz-Ratgeber hat er nicht geschrieben.